„Europe is a miracle.“

                                      Hillary Clinton, 2009

Wenn es etwas gibt, das alle unsere Arbeitskollegen auf dem Golfplatz eint – eine große, leuchtende Konstante - dann ist es der bloße Hass auf Murray, den Chef der Rasenpflege, und – genauso herausstechend – die absolute Ahnungslosigkeit der Kanadier bezüglich Europa.

Praktisch jeder hier hat einen Großvater aus der alten Welt, aber über die Vergangenheit scheint man in Familienkreisen nicht zu sprechen. Also prasselten auf uns täglich Fragen zu kulturellen Differenzen ein. Eine Auswahl.

Ist es manchmal windig bei euch?

Trinkt ihr tatsächlich öffentlich Bier?
Fallen die Blätter in Deutschland auch vom Baum?

Besitzen die Menschen in Europa wirklich keine Waffen?

Habt ihr Würmer?

Das war manchmal lustig, aber fast immer erschreckend. Ein besonders schwerer Fall war unsere Kollegin Shan-Zea (Schorn-Seeeh gesprochen). Eine winzige Erscheinung, von anorektischen 41 Kilo, die ununterbrochen vom ihren verflossenen Freund miaute und Schaltgetriebe auf der Komplexitätsskala neben Quantenmechanik einordnete.

Schorn-Seeeh hat die Grenzen Kanadas erst ein Mal hinter sich gelassen, für ein Ressorthotel in Mexiko. Von Europa weiß sie gerade so viel, dass es dort einen Mann namens Hitler gab und das Shoppen in Paris großartig sein soll. Von der Berliner Mauer hat sie noch nie gehört, auch nicht vom Euro, geschweige denn von dessen Krise. Sie kann auch Deutsch nicht von Französisch unterscheiden, obwohl sie eine Großmutter aus Frankreich hat.

Einmal fragte Schorn-Seeeh ernsthaft, ob es Strohhalme in Deutschland gibt. Oder Würmer. Sie stellte diese Fragen mit der selben unschuldigen Beiläufigkeit, mit der andere Menschen nach der Uhrzeit fragen. 

Man hätte ihr alles erzählen können. Dass die Mehrheit der Europäer Nudisten sind, wir in Bierfässern leben und zu den gewöhnlichen europäischen Haustieren Seeigel und Wieselmakis zählen.

Aber irgendwann musste die Wahrheit auf den Tisch. Wir wollten ihr sagen, dass Würmer grundeuropäisch sind. Dass es in Nordamerika seit der letzten Eiszeit überhaupt keine indigenen Würmer mehr gab. Dass sie erst durch europäische Tabakschiffe in die neue Welt kamen, die Erde (mit den Würmern darin) als Gewichtsausgleich geladen hatten. Dass also selbst hier, unter dem Golfrasen in Grande Prairie, die Würmer irgendwie aus Europa stammen!

Aber da war Schorn-Seeeh schon gekündigt worden.

31/10/2013