Wenn im Annapolis Valley der Schnee schmilzt, erwacht nicht nur Dachs, Eichhörnchen und Schwarzbär sondern auch die perspektivlose Unterschicht aus der kollektiven Winterarbeitslosigkeit. Nova Scotias Wirtschaft ist hochgradig saisonal ausgerichtet. Und da Ergas-Bohrungen im maritimen Kanada fast überall so verpönt wie in Deutschland sind, gibt es im Sommer meist nur einen Weg für Ungelernte um ein bisschen sorgenfreier zu werden – als Erntehelfer.
Vom Frühsommer bis zu den ersten Schneestürmen wird dann gepflückt, gesammelt und sortiert. Auf Erdbeeren folgen Himbeeren, Bohnen, Kirschen, Pfirsiche, Blaubeeren, Äpfel und Kürbisse. Ausländer wie wir sind dabei die Seltenheit. Es gibt ein paar Jamaikaner, die jedes Jahr wiederkommen; ein paar Mexikaner – aber der Großteil auf den Feldern sind kanadische Verlierer in einer globalisierten Welt.
Speziell Kinder sind eine oft gesehene Arbeitskraft auf dem Feld. Jene, die rätselhafterweise bereits vor Ferienbeginn da sind, werden mit weisen Ratschlägen aus dem Erfahrungsschatz der älteren Pflücker („Sieben Klassen reichen für’s Leben“, „Arbeit macht frei“) und verbal Peitschenhieben der Eltern („Wenn du nicht drei Schälchen pro Stunde schaffst, kannst du dir Weihnachten gleich abschminken“) in der Monotonie der Feldarbeit bei Laune gehalten. Ab Ferienbeginn gesellen sich zu den kleinen Sklaven jedoch auch ganze Scharen normaler Jugendlicher, die sich auf dem Feld ihr neues iPhone zusammenpflücken wollen.
Unser Leben war übersichtlich, aber schön. Jeden Morgen aßen wir frische Erdbeeren und jeden Abend badeten wir im Bewässerungsteich und untersuchten uns anschließend gegenseitig auf Blutegel. Einmal fanden wir winzige Schildkrötenbabys und einmal kam Rolleigh, Anthonys uralter und unglaublich fetter Golden Retriever, mitten in der Nacht vorbei und schlief mit uns zwischen den Feldern. Als hätte er gespürt, dass wir ein Teil der Farm geworden waren.