THE GODS TOLD ME TO RELAX
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Exakt dreißig Tage nachdem unsere Reise begonnen hatte, gab es dieses maritime Festmahl. Unsere Tage hatten wir bis dahin an der subtropischen Küste im äußersten Norden Neuseelands verbracht. In ultramarinblauen Gewässern lernten wir die Grundtechniken des Angelns im Ozean. Wir fingen unsere ersten Snapper, fanden einen farbenwechselnden Oktopus und beobachten die schwarzen Silhouetten von Stachelrochen direkt unter uns. Die Krebse zogen wir mit blutigen Fingerknöcheln aus ihren Felsspalten. Anschließend lernten wir bei Kerzenschein in einem ganz neuen Hörb, dass das Fangen der Biester mehr Spaß macht als das Auspuhlen.

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Ohne Worte.

Judith wurde 26 auf einem kleinen Campingplatz im Nirgendwo. Kein Handyempfang, drei Kilometer vor der pazifischen Küste. Dazwischen lagen Schafskoppeln: Zäune, Tränken, Köttel und auch ein paar Schafe. Es war Nachmittag als wir zum Strand wollten, ein bisschen spazieren gehen. Wir liefen durch unzählige Koppeln. Als es nach einer dreiviertel Stunde nach Salz und Fisch roch, stand zwischen uns und dem Meer nur noch ein einziges Schaf. Instinktiv schalteten wir die Kamera an. Dann fing besagtes Schaf an zu rennen. Der Rest ist Geschichte.

Fast den ganzen November verbrachten wir in der Nähe des Ozeans. Zwischen Algen und Gischt lernten wir dabei zwangsläufig drei Dinge über Robbenfamilien. Erstens: Neugeborene Babyrobben sind zum Zerreißen niedlich. Zweitens: Sie und ihre grunzenden Elternbewacher liegen immer an den besten Angelplätzen. Und drittens: Robben können für Adrenalinkicks sorgen, sollte das Geld nicht für Fallschirmspringen oder Hai-Käfige reichen. Man renne einfach mal in blinder Vorfreude auf nahende Angelabenteuer in vollem Tempo über Felsen am Strand. Sollte zwischen den Steinen zufällig eine Robbe liegen, wird die Zusammenkunft nicht vergessen werden – so viel sei aus eigener Erfahrung garantiert.

Dieses süße Stacheltier begegnete uns auf der Banks Peninsula, einer Halbinsel vor Christchurch. Eigentlich hat dieser Igel in Neuseeland gar nichts verloren, aber jemand hat seine Urahnen versehentlich in einer Jackentasche (wie es äußert merkwürdig im Reiseführer heißt) mit in sein neues Leben genommen (wie, bitteschön, bemerkt man einen Igel eigentlich nicht in seiner Jackentasche?). Jedenfalls kam er in seinem Igeltempo aus der Hecke geschossen und versuchte todesmutig die Landstraße zu überqueren. Nachdem wir schon unzählige blutige Stachelhaufen gesehen hatten, hielten wir an und gewährten ihm einen ganz besonderen Shuttleservice. Er war ganz weich am Bauch. Doch geheuer war ihm die Flugreise nicht. Als wir ihn absetzten, ward er gleich eine Kugel - bis wir davonfuhren.

Als wir endlich den Dreh raushatten, wie man es schafft, 200 Kilo Kirschen in acht Stunden zu pflücken, war die Saison zwei Tage später vorbei. Wir konnten es verkraften. Schließlich gab es ein Erntefest zu feiern. Dort beobachteten wir muslimische Malaien bei ihrem ersten Jägermeister und neuseeländische Farmer bei ihrem ersten Kimchi – beide mit ähnlichen Gesichtsausdrücken. Doch auch sonst gab es viel Spaß. Vor allem die rund fünfzig asiatischen Kollegen sorgten für packende Abendunterhaltung. In nie enden wollenden Formationen (mal Größensortiert, mal nur Mädels, mal nur Chinesen aus Hongkong usw.) hielten sie ihren Abschied aus der Obstbranche fotografisch fest. Niemals zuvor haben wir auf einer Betriebsfeier so viele grinsende Gesichter gesehen.

Was da aussieht wie eine Mischung aus Waldhexe, Björk und Frauenboxen ist das Ergebnis einer Nacht im neuseeländischen Gebirge. Am Fuße von Mount Aspiring verzichteten wir freiwillig auf unser Zelt und machten in nie gekanntem Maße Bekanntschaft mit der neuseeländischen Sandfliege. Neben Myriaden von Stichen an Kopf und Nacken erwischte es Judith dekorativ unterm linken Auge und am rechten Augenlid. Doch wir nahmen es gelassen: Nach acht Wochen Kirschernte waren dies die ersten Tage in Freiheit.

Was dort über Propanflamme kokelt, ist ein kleines Stückchen Heimat. Es stammt von einem Mann mit Schnurbart. Er heißt Antonio. Dieser Mann lebt in der kleinen Stadt Motueka, hinter den goldenen Stränden der neuseeländischen Südinsel. Antonio beherrscht – ganz made in Germany (auch wenn er wohl eher Südtiroler ist) – ein Handwerk, das hier sonst niemand beherrscht: Die formvollendete Perfektion des Mischbrotbackens. Im letzten Winkel des toastverwahrlosten britischen Empires war es Antonio, der uns acht Wochen lang, ewig nicht gekannte Frühstücksfreuden gönnte.

Seit Peter Jackson, keine fünfhundert Meter östlich auf diesem Foto von mir, den uralten Vulkan Mount Ngauruhoe zu seinem cineastischen Schicksalsberg erklärte, ist der Weg in diese vulkanische Hochebene, vor der ich da so gekonnt posiere, zur beliebtesten Wanderroute Neuseelands geworden. Für uns war es der letzte Trip in die Wildnis dieses wundervollen Landes. Zumindest bis wir irgendwann zurückkehren – und sei es nur, um den Schlund des Vulkans nach dem ein oder anderen Goldring abzusuchen.

Die Anziehungskraft von Usnea filipendula, dem gewöhnlichen Baumbart, ist so wenig dokumentiert wie außergewöhnlich. Eine Gruppe junger Wanderer verwandelte er im Handumdrehen in eine Horde Wahnsinniger. Auf einem, in diesem Frühling geborgenem, Foto zeigt sich das ganze Grauen. Wir sehen einen Teufelsgoblin mit defektem Ohrhaartrimmer, einen an der Grenze zum totalen Krieg stehenden Adolf, einen Waldschrat auf LSD und einen ehemaligen CSU-Finanzminister. Es liegt beim umsichtigen Leser herauszufinden, wer was darstellt.

Dieses süße Stacheltier begegnete uns auf einem Parkplatz, unterhalb des Exit Gletschers im Süden Alaskas. Nach einer siebenstündigen Wanderung war die Nacht bereits hereingebrochen, doch die alaskische Mitternachtssonne strahlte hell genug, um die schwarzen Umrisse eines Baumstachlers aus unserem Autofenster zu erkennen. Das seltsame Wesen watschelte, Taps für Taps, direkt auf uns zu. Seine gemächliche Reise fand jedoch ein abruptes Ende, als er sich den Kopf fast an unseren Wanderschuhen angeschlagen hätte. Vielleicht drei Zentimeter lagen noch zwischen Lederstiefel und Stachlerkopf (der vom Maulwurf abstammen muss) als er ganz perplex damit begann, seine Zähne zu fletschten und die Stacheln aufzustellen. Er sah aus, als er hätte er den Tod in unseren Wanderstiefeln gewittert.


P.S. Er wollte auch nicht auf die andere Straßenseite getragen werden.

Als Ranger Ellen in unser Leben, beziehungsweise in unseren Tour-Bus trat, staffiert mit Grabräuber-Hut, in-die-Hose-gestecktem-Hemd, goldenem Pfadfinderabzeichen und uns erklärte, man solle sie doch bitte mit „Ranger Ellen“ ansprechen - spätestens da hätte klar sein müssen, dass der Besuch der Schlittenhunde im Denali National Park ein schwerwiegender Fehler war. Nicht umsonst kannte man solch kombinatorische Anrede aus Berufung und Namen sonst nur aus „Schwiegertochter gesucht“ („Hasenfreund Holger“, „Witzbold Wendelin“). Die anschließende dreißigminütige „Show“ ist schnell zusammengefasst: Ranger Ellen erzählte von Ranger Ellens bedauerlicher Kindheit in Pennsylvania, Ranger Ellens bedauerlicher Gegenwart in Alaska und scheute sich obendrein nicht, Ranger Ellens Hang zu saublöden Witzchen zu offenbaren. Hätte nicht einer der Schlittenhunde vor der Schlitten gepisst, man hätte glatt vergessen, warum man eigentlich hergekommen war.

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Juni