THE GODS TOLD ME TO RELAX
NEUSEELAND

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45° 2‘ 4.24‘‘ S    169° 12‘ 6.09‘‘ Ehttp://de.mygeoposition.com/loc/Cromwell,%20Neuseeland/?zoomLevel=12&mapType=

Man sollte meinen eine Kirschfarm sei ein verschlafenes Idyll, wo die Zeit unter schattenspendenden Baumdächern ein bisschen langsamer als normalerweise vergeht, aber auf einer Kirschfarm herrscht Krieg – und zwar unaufhörlich. Der Feind ist schnell, zahlenmäßig überlegen und greift bevorzugt aus der Luft an, doch darauf haben sich die Farmstreitkräfte eingerichtet.


Quad-Patrouillen (bevorzugt gesteuert von der Kategorie Hobby-Wilderer - schweißtriefend, schnurbärtig, bierfassbäuchig) behelfen sich der psychologischen Kriegsführung und zermürben den fliegenden Gegner durch kontinuierliches Betätigen ihrer Hup- und Sirenengeräusche; aber im Ernstfall wird auch die Flinte rausgeholt. Und weil selbst das nicht reicht, donnert alle paar Sekunden irgendwo auf diesem unbezähmbaren Ort eine Gas-Kanone in Explosionslautstärke.

Wenn man also auf seiner Leiter steht und den siebzehnten Korb „Sweethearts“ vom Baume pflückt und darauf achtet, möglichst keine Äste zu krümmen, Stiele abzukneifen oder gelbe Früchte abzuernten, gleicht die Umgebungslautstärke auf einer Kirschfarm einem Krisengebiet, in dem es ziemlich mies zugehen muss.

Somalia vielleicht. Und das alles, denkt man, damit ein paar Vögelchen keine Kirschen naschen können.

Aber die Farmbesitzer meinen es ernst: Jede Mittagspause führt der Weg an einem Eimer mit der Aufschrift „Dead Birds“ vorbei. Wer nach seiner regulären Arbeitszeit noch zwischen den Bäumen gesehen wird, kann leicht demselben Schicksal erliegen, hieß es in der Einweisung. Schließlich ist nur vier Wochen im Jahr Erntezeit, in denen alles klappen muss, denn an den Zweigen einer Kirschplantage hängt mehr Kapital, als man in den meisten Banktresoren findet.


Die Rechnung der Farmoberhäupter ist dabei ganz einfach: Ein Kilo Kirschen bringt in Neuseeland (vom Export ganz zu schweigen) mindestens 18 Dollar. Ein Kilo sind ziemlich genau 70 Früchte. Jede beschädigte Kirsche bedeutet demnach (Arbeits-, Verpackungs- und Transportkosten eingerechnet) 20 verlorene Cents. Bei Unwetter oder Vogelschwärmen gehen die Schäden leicht in die Tausender. Selbst wir, die Pflücker, dürfen deshalb keine Kirschen mit nach Hause nehmen. Aber zumindest etwas unterscheidet uns von den Vögeln:

Wir dürfen naschen.

Eigentlich sind die Dinge auf unserer Farm überschaubar: 30 Leute pflücken, zwanzig sortieren und sieben kümmern sich um die Organisation. Nach fünf Wochen sind dann 90 Tonnen Kirschen verkauft. Eine mickrige Zahl im Vergleich: Der Marktführer (und unser neuer Arbeitgeber) kommt auf das Zehnfache. Doch natürlich herrscht auch auf einer kleinen Farm ständig Tohuwabohu, gleicht sie doch einem Schmelztiegel der Kulturen. Allein mit den Herkunftsländern der Pflücker könnte man den Großteil des Zweiten Weltkriegs (inklusive Pazifik-Episoden) nacherzählen.


Die größte Gruppe unter den Arbeitern kommt aus, wen wundert’s, China. Die meisten von ihnen pflücken schnell wie der Wind, sind dabei aber auch laut wie ein Rudel entlaufener Paviane. Der Höhepunkt ihres Arbeitstages ist erreicht, wenn zwanzig chinesische Kehlen unisono „Last Bucket“ brüllen können, also letzter Eimer für heute. Angebracht wäre dieses Ritual eigentlich nur 15 Minuten vor Arbeitsende, doch vergeht kein Tag an dem nicht wenigstens ein Chinese schon um halb zehn zu „Laaast Back-kett“ ansetzt. Imponierender als ihre Leidenschaft für repetitive Komik sind dagegen ihre Fähigkeiten am Wok.

Obwohl kaum älter als Anfang 20 kann ausnahmslos jeder chinesische Jüngling fantastisch kochen. Von den neuseeländischen Farmern lässt sich so etwas nicht unbedingt behaupten, stand auf dem Plakat zum Erntefest doch tatsächlich: „Um das Essen kümmern sich die Frauen, die Männer um den Suff“. Und auch im Alltag sorgt ein von dieser Parole divergierendes Rollenbild stets für Verwunderung: So kann es unsere Reinigungsfrau immer noch kaum einordnen, dass auch Männer die Rätsel der Waschmaschinenbedienung dechiffrieren können. Selbst dann nicht, als ich ihr entgegne, dass Männer einst die Waschmaschine erfanden.


Mittlerweile haben wir aber (wie oben erwähnt) die Farm gewechselt. Dort arbeiten über 200 Pflücker aus allen bewohnten Kontinenten. Von sämtlichen Kulturen dort sind es vor allem die Männer aus Vanuatu, einem Atoll im Pazifik, die im Gedächtnis bleiben. An unserem ersten Tag entdeckte neben uns ein Ni-Vanuatu in seinem Baum ein Vogelnest. Doch statt wie wir die süßen Vogelbabys zu bestaunen, stopfte er den Muttervogel in seine Hosentasche. Ach, und: Sie lieben „Last Bucket“ genauso wie die Chinesen.